Sei geduldig mit dir selbst
27.11.2023

Sei geduldig mit dir selbstInterview mit Informatikerin und mint:pink Role Model Elina Eickstädt

Im Netz findet man Elina Eickstädt als Sprecherin des Chaos Computer Clubs und als Koordinatorin der Kampagne „Chatkontrolle stoppen“. Auf ihrer digitalen Visitenkarte stehen schon mehrere Start-ups, Unternehmen für IT Sicherheit sowie als roter Faden ein Studium der Angewandten Informatik an der HAW Hamburg. Last but not least engagiert sie sich bei NAT als Role Models für den weiblichen Nachwuchs: „Ich bin seit fünf Jahren dabei, die Hälfte der Zeit“, sagt die 28jährige im mint:pink Jubiläumsjahr. Keine Frage, die Studentin stemmt allerhand auf einmal, selbst die Hamburger Meisterschaft im Gewichtheben hat sie bereits geholt. Im Gespräch mit der NAT macht sie aber auch deutlich, wo ihre Grenzen liegen.

NAT: Elina Eickstädt, was wollten Sie mit 15 werden?    

Elina: Pastorin, das ist die ehrliche Antwort (lacht). Aber tatsächlich hat mich daran nur der wissenschaftliche Teil interessiert, nicht der spirituelle. Nach dem Abitur mit den Profilfächern Politik und Geschichte wollte ich dann Internationale Beziehungen gestalten und am liebsten in der UN arbeiten. Standardmäßig studiert man dafür VWL, Volkswirtschaftslehre, aber das habe ich nach zwei Semestern abgebrochen. Makro- und Mikroökonomie haben mich am Ende des Tages nicht angesprochen und nach Schul- und Studienzeit sehnte ich mich nach Praxiserfahrung. Das Hotelfach war schon lange mein Zweitwunsch, dem ich dann mit einer Lehre nachgegangen bin.

NAT: Von der Hotelfachfrau zur Informatikstudentin: Wie kam das?    

Elina: Ich habe die Ausbildung erfolgreich abgeschlossen, aber ich konnte mir nicht vorstellen, das dauerhaft weiterzumachen. Den Großteil meiner Ausbildung habe ich an der Rezeption verbracht und da hat mich die Hotelsoftware für die Zimmerbuchungen und Abrechnungen besonders genervt. Ich habe versucht zu verstehen, was technisch dahinter steckt. Das war der Punkt, wo ich angefangen habe, mich in Python einzuarbeiten und auch selbst zu programmieren. Von da aus war dann der Schritt zu einem Informatikstudium nicht weit, auch wenn mir das damals weder meine allermeisten Freunde noch mein Familie zutrauten.  

NAT: Sie haben sich davon nicht abbringen lassen. Wie war das erste Semester?    

Elina: Ich habe erst an der Fernuni angefangen und dann relativ schnell festgestellt, wie wichtig mir Präsenz und Austausch mit anderen Studierenden ist. Also wechselte ich an die HAW, wo dann nach einem Semester Corona kam, das war hart. In den ersten drei Semestern geht es um die Grundlagen und ganz viel Mathe, da muss man schon viel ackern. Unsere Professoren sagen immer, da kommt man nur als Team durch und das ist auch wirklich das Erfolgsgeheimnis: Man braucht eine Lerngruppe, die gut zusammen arbeitet. In meiner waren nur Jungs und das bleibt ein Stachel: Gehöre ich hier eigentlich hin, kann ich das überhaupt? Ich bin ja aus der geisteswissenschaftlichen Ecke gekommen, das ist eine komplett andere Welt. 

NAT: Wie anders denkt und lernt denn eine Informatikerin?     

Elina: In den Geisteswissenschaften kommt man mit Lesen, einem Grundgefühl für die Thematik und ein wenig Auswendiglernen von Fakten relativ gut durch. Viel kann man auch durch Herleitung und eine gute Ausdrucksweise überspielen. In der Informatik dagegen geht es nur um die harten Fakten, das ist extrem reduziert auf die mathematischen Konzepte und da wird nichts ausgeschmückt. Mit Auswendiglernen ist ein Informatikstudium nicht zu machen, keine Chance, man muss wirklich verstehen, worum es geht. Das Gute ist aber auch, dass jeder Tag anders ist. Es geht ums Analysieren, die Fehlersuche und wenn man einen schwierigen Fall gelöst hat, kann das schon süchtig machen.

NAT: Sie haben von Anfang an Beruf und Studium kombiniert, also dual studiert?       

Elina: Nicht wirklich. Das Regelmodell eines dualen Studium sieht vor, dass man nur außerhalb der Vorlesungszeit und Klausuren arbeitet. Das bedeutet, man ist teilweise nur sechs Wochen im Betrieb, kommt da gar nicht richtig an und muss dennoch auf Pausen verzichten. Ich kann das nicht wirklich empfehlen. Mein Modell hat finanzielle Gründe und ist anders, aber auch noch anstrengender: Ich arbeite 20 Stunden, in meinem letzten Job in den Semesterferien sogar Vollzeit. Das Studium ist aber auch auf 40 Wochenstunden angelegt, es war klar, dass ich das nicht in der Regelstudienzeit schaffe: Ab März beginne ich meine Bachelorarbeit, dann habe ich zehn Semester gebraucht. Wer aus finanziellen Gründen mehr als zehn Stunden nebenbei arbeitet, wird länger studieren und muss geduldig mit sich sein.

NAT: Was machen Sie aktuell und wie geht es nach dem Bachelor weiter?           

Elina: Ich bin jetzt bei modzero tätig, einer kleinen Firma, die IT-Sicherheit im klassischen Sinne macht, wo ich viel lernen und die Theorie zu Datenbanken und Netzwerktechnik aus dem Studium anwenden kann. Als Sprecherin des Chaos Computerclubs kümmere ich mich um europäische netzpolitische Themen, weil ich IT-Sicherheit und Privatsphäre auch für unsere Demokratie als total wichtig erachte und da gerade auf der technischen Seite noch sehr viel Expertise fehlt. Das Studium bietet mir für beides eine super Grundlage, aber wie es genau nach dem Abschluss weitergeht, kann ich noch nicht sagen. 

NAT: Was geben Sie Mädchen, die sich für Informatik interessieren mit auf den Weg?        

Elina: Nicht aufgeben, sich nicht einschüchtern und alles gefallen lassen. Diese männlich dominierte Nerdkultur ist nicht die einzig wahre, man kommt auch gut durch ein Informatikstudium, wenn man nicht den ganzen Tag vor dem Rechner sitzt und schon als Jugendliche 50.000 Computerspiele ausprobiert hat. Das musste ich auch erst lernen: Meine Arbeitsgruppe ist sehr flauschig und ich habe viel Glück, aber es war ein Prozess zu akzeptieren, dass ich ein anders Verhältnis zu Technik und Computern habe, anders sozialisiert bin und andere Wege gehe als die Jungs. Man kann sich selber treu bleiben, das ist überhaupt kein Problem. 

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