Spannender als „Tatort“
04.05.2023

Spannender als „Tatort“Neuntklässlerinnen fragen, wie alles begann und weitergeht. Eine Reise zum Ursprung des Universums in der Ausstellung im Museum der Arbeit

Unten Kälte, oben Wärme mit hochprozentigem Alkohol, der verdampft, wieder abkühlt und dabei übersättigt. Dazwischen Action: „Da ist einiges los“, sagt Gudrid Moortgat-Pick. Die Professorin für Theoretische Physik zeigt auf einen dicken Kondensstreifen hinter Glas, der schnell verpufft. „Das ist ein echt fettes Alphateilchen, ein Heliumkern. Die kommen einfach überall vor“, erklärt die Physikerin und weiter zu einem schlanken, geraden Streifen: „Das Elektron ist schneller und kann deswegen länger im übersättigten Dampf sein.“ Normalerweise forscht Moortgat-Pick am DESY und unterrichtet an der Universität Hamburg zu kleinsten Teilchen und großen kosmischen Fragen. An diesem Vormittag führt sie Neuntklässlerinnen durch die Sonderausstellung „Wie alles begann“ im Museum der Arbeit. Die Nebelkammer, die Teilchenspuren von Elektronen, Myonen und Co. sichtbar macht, gehört zu ihren Lieblingsexponaten.

Freeze out: Dunkle Materie ist überall 

„Da passiert ständig was, das ist spannender als Tatort“, sagt Moortgat-Pick und blickt in die Gesichter der Grootmoor-Gymnasiastinnen: „Habt ihr Fragen?“ Aber ja! Schon nach dem Einführungsvortrag wollen die Mädchen mehr über den Urknall, die Entstehung von Sternen und Galaxien oder die beschleunigte Expansion wissen. Im Halbdunkel der Sonderausstellung geht es auch um die „Schattenseiten“ des Universums. „Wird das Licht von der dunklen Materie abgefangen?“, will Felicia wissen. Moortgat-Pick erklärt, dass der Begriff für rund 27 Prozent des Universums steht, das kein Licht aussendet und nur gemessen werden kann, weil es die Planeten beschleunigt und den Raum krümmt. „Wir sprechen von Freeze-out: Wir haben uns ausgedehnt und bei der Abkühlung ist ein bestimmter Teil von Materie übriggeblieben.“ Experimente im Teilchenbeschleuniger versuchten, das nachzuweisen. Bisher vergeblich. „Es bleibt noch viel Raum, den ihr erforschen könnt“, wendet sich die Professorin an die Mädchen.  

Love it: Das Wunder achten und bewahren  

Könnte die Expansion des Universums nicht auch unser Klima-Problem lösen, möchte Stella wissen. „Wenn sich die Sonne weiter von der Erde entfernt, müsste ja auch die Erderwärmung zurückgehen“, meint die 15-Jährige. Schöner Gedanke, nur bewegt sich das Universum nicht schnell genug, um einer von Menschen gemachten Erderwärmung Einhalt zu gebieten. Das sei eigentlich auch ganz gut so, denn wir sind auf einer einmaligen Position, gibt Moorgat-Pick zu bedenken. „Wir haben es schön warm, weil es den Treibhauseffekt gibt, aber nicht zu warm, wenn wir es schaffen, im Gleichgewicht zu bleiben.“ Das positive Denken, Dankbarkeit und eine gewisse Demut habe sie durch ihre Arbeit gelernt und wünscht sich, dass sich auch Politiker und Machthaber mehr auf die Wissenschaft einließen. Dann wüssten sie die Natur und ihr Zusammenspiel mehr zu achten. „Je mehr du weißt, umso mehr staunst du“, sagt Moorgat-Pick. 

End up: Besser als Big Crunch

Nach Protonenfußball und Beschleunigermodell schließt die Ausstellung ab mit Bildkompositionen der Hamburger Künstlerin Tanja Hehmann und der Frage, wie es mit dem Universum weitergeht. Verschiedene Theorien vom Big Crunch bis zum Big Freeze gibt es dazu schon. Moortgat-Picks Favorit: Von einer expandierenden Phase, in der wir uns jetzt befinden, geht es wieder in einen Schrumpfungsprozess über. „Das Zyklische liegt uns nahe, das finden wir ganz ästhetisch“, sagt sie. Dass sich die Schülerinnen für Wissenschaft wie Kunst interessieren und so viele Fragen haben, freut die Teilchenphysikerin. Sie ist dafür verantwortlich, dass die Ausstellung im Wissenschaftsjahr „Unser Universum“ von Wien, wo Moortgat-Pick promoviert hat, nach Hamburg gekommen ist. Auch um Nachwuchs zu begeistern. „Vielleicht sehen wir uns in ein paar Jahren in der Vorlesung wieder“, ruft die Teilchenphysikerin den Mädchen zum Abschied zu. Offene Fragen, die in Zukunft erforscht werden wollen, gibt es schließlich mehr als genug.

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