
Per Maschine pro Menschmint:pink testet VR-Prototypen im Informatikum der Uni
Sturm über Hamburg, der Pegel steigt, Rettungskräfte sind in Alarmbereitschaft, Sandsäcke stehen parat. Doch wer behält in der Krise noch den Überblick und koordiniert die Aktion? Wilhelmine bedient die Steuerung, zoomt in den Hafen und bekommt vier Notfälle gleichzeitig gemeldet. „Wir haben nicht genug Menschen“, stöhnt Stella. „Wir haben Technikprobleme, würde ich sagen, standardmäßig läuft ja immer irgendwas falsch“, fachsimpelt Carley und tippt energisch auf den Touchscreen Tisch vor ihr. Es zeigt eine interaktive Hamburg Karte, darauf Symbole für Feuerwehr, Polizei und Technisches Hilfswerk. Carley hat die Einsatzleitung für das THW übernommen. Kleine Kreise zeigen an, dass ihr noch zwei Hilfskräfte zur Verfügung stehen, aber so sehr die Schülerin auch tippt und wischt, das so dringend benötigte Personal kommt nicht im Wilhelmsburger Überschwemmungsgebiet an.
In Touch mit Technik und Teamgeist
Es ist mehr als nur ein Spiel, das sich die drei Matthias-Claudius-Gymnasiastinnen für ihren ersten Testversuch im Fachbereich Informatik der Uni Hamburg ausgesucht haben. Zusammen mit ihren mint:pink Mitschülerinnen stehen sie in einem Raum voller Bildschirme, Kabel, Controller. „Willkommen in unserem Labor der Mensch-Computer-Interaktionen“, sagt Jenny Gabel, Doktorandin in der Arbeitsgruppe von Frank Steinicke. Der Professor ist zu einer Fachkonferenz nach Japan gereist, hat es sich aber nicht nehmen lassen, der Gruppe eine persönliche Grußbotschaft zu übermitteln. „Fast live dabei“, sagt Jenny, als sie das Video startet. Die virtuelle Einführung macht deutlich, dass benutzergerechte, also „ebenso effiziente wie zufriedenstellende“ Mensch-Maschine-Schnittstellen im Fokus der Arbeitsgruppe und des entsprechenden Studiengangs – und damit der Prototypen im Labor stehen.
Vom Escape Game zur virtuellen Therapie
Wobei „zufriedenstellend“ ein glattes Understatement für die Begeisterung ist, mit der die Neuntklässlerinnen Multi-Touch, Escape Game und Mixed Reality ausprobieren. „Das Escape Game war richtig cool – als wäre man in einer anderen Welt gewesen“, sagt Lexie und strahlt. „Man konnte Sachen greifen, ist gegen Hindernisse gelaufen und was man fallen gelassen hat, ging kaputt – das war echt realistisch gemacht“, lobt ihre Freundin Salma. Nach so viel Action macht es sich Lexie auf einem Stuhl bequem. In der virtuellen Welt, die der 15-Jährigen über die VR-Brille eingespielt wird, handelt es sich um ein Kanu. Rechts und links steigen Seifenblasen mit Ziffern auf, die höhere Zahl soll Lexie per Handbewegung jeweils zum Platzen bringen. Easy. Doch je länger die Kanufahrt dauert, umso anspruchsvoller werden die Aufgaben. „Das ist für die Zielgruppe 65 plus entwickelt und wird allein durch Bewegung gesteuert“, erklärt Lucie Kruse das Thema ihrer bereits abgeschlossenen und ausgezeichneten Dissertation.
Graffiti-Archäologie aus dem Römischen Reich
Auch Jenny Gabel hat ihre Arbeit schon eingereicht. Zusammen mit einer Archäologin hat sie das römische Theater von Milet in 3D nachgebaut. Ein Forschungsprojekt für das UHH-Exzellenzcluster „Understanding Written Artefacts“, das Inschriften ins digitale Zeitalter transformiert. „Wir gehen durch die historische Altstadt, schauen in Höhlen, es gibt Tag und Nacht – ich finde, die haben das richtig gut gemacht“, lobt Liele. Vor allem wurde nichts erfunden: „Ich habe die Daten von meiner Promotionskollegin, die vor Ort gegraben hat“, so Jenny. „Es gibt dort viele in Stein gemeißelte Hinterlassenschaften der Menschen.“ Interdisziplinär für mehr Aufklärung sorgen, darum geht es auch bei der Datenplattform Rescue-Mate, die Hamburg in Krisensituationen mit Echtzeitdaten versorgen will. Weil es Zeit braucht, Rettungskräfte von A nach B zu schicken, stockt die Anwendung am Touch-Tisch gelegentlich. Dass Bachelor-Studierende die Simulation gebaut haben, beeindruckt Carley. Die Schülerin will später auch Informatik mit Psychologie verbinden: „Ich denke, der Studiengang wäre was für mich.“