Mit Kopf, Koordination und KI
05.04.2023

Mit Kopf, Koordination und KIInterview mit Dr. Natalie Rotermund, wissenschaftliche Referentin im Artifical Intelligence Center Hamburg (ARIC)

Molekularbiologin, promovierte Neurowissenschaftlerin und Mutter einer 7jährigen Tochter, Gründerin, Referentin für künstliche Intelligenz und Quantentechnologie – es gibt viele Titel, die Natalie Rotermund beschreiben. Vielfalt ist denn auch das Grundmotiv, das die Arbeit der 37jährigen beim ARIC ausmacht, der zentralen Anlauf- und Koordinierungsstelle für das Thema künstliche Intelligenz in Hamburg – und gerade dabei, dies auch beim Thema Quantencomputing zu werden. Für die „Initiative Hamburg Quantum Innovation Capital“, der Initiative der Stadt Hamburg zur Förderung eines lebendigen, erfolgreichen Quantentechnologie-Standortes moderiert und managet Rotermund Projekte und Veranstaltungen im Auftrag des ARIC. In dem Zusammenschluss aus Forschung und Wirtschaft, die die Quantentechnologie in Hamburg voranbringen will, ist sie zudem im strategischen Netzwerkausbau und Wissenstransfer tätig.

NAT: Frau Rotermund, was wollten Sie mit 15 werden?    

Natalie Rotermund: Ich bin auf Föhr zur Schule gegangen, es gab nur eine Klasse pro Jahrgang, das heißt wenig Auswahl – sowohl bei den Lehrkräften als auch bei den Kursen. Ich habe Geschichte und Chemie belegt, aber ehrlich gesagt, hat mich zu dem Zeitpunkt Schule schulischer Erfolg nicht sonderlich besonders interessiert. Das hört sich vielleicht blöd an, aber die Botschaft dahinter ist mir wichtig: Man muss in der Schule nicht sonderlich gutbesonders strebsam gewesen sein, um seinen Lebensweg (auch in den MINT-Fächern) erfolgreich zu gehen. Die Natur auf der Insel hat mich schon geprägt und insofern lag ein Studium der Naturwissenschaften vielleicht schon irgendwie nahe. Biologie ist es dann geworden, weil ich das Thema Genetik, das wir in der Schule behandelt hatten, sehr spannend fand: Woraus besteht das Leben, wie funktioniert es? 

NAT: Haben Sie Antworten auf diese Fragen im Studium gefunden?     

Rotermund: Ja, schon, Genetik gehört dazu. Ich war der erste Jahrgang nach der Umstellung von Diplom- auf Bachelorstudiengänge, das war sehr breit aufgestellt, hat mir die Grundlagen der Naturwissenschaften gut vermittelt und Spaß gemacht. Ich wusste ja auch, dass es in der Regel nicht beim Bachelor bleibt, sondern man sich im Master weiter spezialisiert. Bei der Abschlussarbeit Bachelorarbeit habe ich mich für einen Bereich entschieden, bei dem mir klar war, dass ich ihn anschließend nicht weiter vertiefen würde. Es ging um die Systematik von Tintenfischen. Ein Studium ist auch eine Gelegenheit, sich zu orientieren und bewusste Abstecher zu machen. Damals habe ich mein erstes wissenschaftliches Paper veröffentlicht. 

NAT: Von da an stand fest, dass Sie promovieren wollten?      

Rotermund: Nein, das Angebot kam erst nach dem Masterabschluss.in der Zeit, als ich meine Masterarbeit schrieb. Es gibt Studierende, die schon ab der fünften Klasse wissen, dass sie Tierärztin werden wollen. Und dann gibt es die anderen, die erst mal nur ihren Interessen folgen. Dazu gehörte ich. Schon im Masterstudium hatte ich ein paar Kurse in Neurowissenschaften belegt, aber so eine richtige Leidenschaft habe ich erst durch die Promotion entwickelt. Mit einer Technik, die ich angewendet habe, dem sogenannten Patch Clamp, kann man Ströme, die zwischen Nervenzellen fließen, messen und unter Anderem untersuchen wie bestimmte Substanzen, beispielsweise Koffein, auf die Kommunikation zwischen den Nervenzellen wirkt Man kann Ströme messen zwischen den Zellen und wie Hormone oder auch bestimmte Substanzen, zum Beispiel Koffein, die elektrische Aktivität und damit wie diese unser Verhalten beeinflussen. Das ist faszinierend. 

NAT: Warum haben Sie dann die Universität verlassen?       

Rotermund: Zum einen war ich nicht bereit privat die leider oft noch geforderte Flexibilität des Arbeitsortes auf kosten meines Privatlebens hinzunehmen, nicht flexibel genug. Ich hatte ja eine kleine Tochter bekommen. zZum anderen war die universitäre Lehre nicht so mein Fall.gerade meine liebste Tätigkeit, diese ist aber in den meisten Fällen ein relativ großer Bestandteil der Arbeit an der Universität.  Neben meiner Arbeit als Post-Doc gründete ich zusammen mit einer Kollegin ein Start-up, „Augmented Science“. Es geht um Wissenschaftskommunikation: Eine App ermöglicht es, mit Hilfe von Augmented Reality hinter analogen Bildern multimediale Inhalte abzuspielen. Die Idee ist aus der Praxis wissenschaftlicher Tagungen entstanden. Da kommen Unmengen von metergroßen ausgedruckten DIN A0-Postern zusammen, auf denen man seine wissenschaftlichen Ergebnisse zusammenfasst und präsentiert. Das ist wie aus der Zeit gefallen: Man hat Daten digital vorliegen und bricht sie dann auf ein paar zweidimensionale Fotos runter.  Wir wollten der Wissenschaftskommunikation ein einfaches Tool an die Hand geben, Daten zu visualisieren. 

NAT: Cool! Gibt es das Unternehmen noch?       

Rotermund: Wir sind gerade dabei, die Firma aufzulösen und die Inhalte einem Verein zu übergeben. Das ist vielleicht auch ein Learning: Uns fehlte der kommerzielle Ansatz. Wir wollten das ja für die Life Science Community machen, da war die Unternehmensform einer UG sicher nicht die allerbeste. Letztlich war das aber auch ein Baustein, sich mehr mit Programmierung, Data Science und AI zu beschäftigen. Es hat mich geärgert, dass ich die App nicht selbst schreiben konnte und wir uns dafür einen Mitgründer suchen mussten. Als dann im letzten Jahr ein Vertrag Projekt an der Uni auslief und ich überlegte, in welche Richtung ich weitermache, ob ich in diesem Bereich bleibe, oder etwas neues wage, kam die Stellenausschreibung des ARIC wie gerufen. Ich habe mich aus einer Laune heraus beworben. 

NAT: Und offenbar überzeugt. Im Frühjahr Mai 2022 haben Sie angefangen…

Rotermund: Ich glaube tatsächlich, dass der bunte Strauß, den ich mitbringe, den Ausschlag gab. Mein Chef meinte, super, eine Neurowissenschaftlerin haben wir noch nicht. Es war auch nicht von Nachteil, dass ich Erfahrungen in der Firmengründung mitbrachte, weil wir oft mit Start-ups zusammenarbeiten. Ich besetze jetzt den Bereich Life Science & Health-Care , gebe Ratschläge und stelle Kontakte her. Angebote wie Chat GPT werden unsere neue Normalität sein, in der Medizin wird die KI die Diagnostik verbessern und Vorstufen von Krebs erkennen. Ich finde es wichtig, dabei mitzureden und sich nicht komplett abhängig zu machen von außereuropäischen Ländern. Wir etablieren uns gerade als Ansprechpartner im Bereich Quantentechnologie und ich kann dazu beitragen, Innovationen in der Metropolregion voranzutreiben, die richtigen Partner aus Industrie und Forschung zusammenzubringen – das ist ein gutes Gefühl.

NAT: Was hat das mit Ihrem Studium zu tun?

Rotermund: MINT ist eine super Grundlage, egal, wo man anschließend tätig wird, man lernt, Zusammenhänge zu sehen. Und je mehr man versteht, was intelligente Systeme machen, desto besser kann man sie mitgestalten. Dazu braucht man Statistik, Mathe, die Grundlagen der Programmierung. Aber auch Elemente aus den Neurowissenschaften werden in die Informatik zurückfließenhelfen mir dabei die Prinzipien der künstlichen Intelligenz besser zu verstehen. Ich bin sehr zufrieden mit meinem Studium. Dennoch lautet mein Rat an die Mädchen: Wählt bei gleichwertigen Alternativen, diejenige, die mehr Reputation bringt. Also für Molekularbiologie Chemie studieren, weil man anschließend ein besseres Gehalt bekommt. Den Doktortitel nicht gleich ausschlagen, weil er im Zweifelsfall doch helfen wird. Vorträge halten, Veranstaltungen moderieren, weil das sonst wieder nur Männer machen. Zurückhaltung ist fehl am Platz: Mädchen und Frauen brauchen mehr Sichtbarkeit.

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