Menschlich führen
24.04.2023

Menschlich führenInterview mit Dr. Angelika Preetz Betriebsleiterin bei der Schill+Seilacher „Struktol“ GmbH

Mit dem neutralen Titel „Operations Manager“ kann Angelika Preetz gut leben. Mit Überschriften wie „Chefin über 80 Mann“ dagegen weniger. Weil nach Ansicht der promovierten Chemikerin das Geschlecht gar nicht so eine große Rolle spielt. Tatsächlich: Wer die 42-Jährige unter ausschließlich männlichen Mitarbeitern erlebt, bekommt ein Gefühl dafür, was „Führung auf Augenhöhe“ bedeutet und bewirken kann. Und warum die Schill+Seilacher „Struktol“ GmbH sich für Preetz und gegen die männliche Konkurrenz entschieden hat.

NAT: Frau Preetz, was wollten Sie mit 15 werden?    

Angelika Preetz: Da hatte ich überhaupt keine Vorstellung, ich habe mehr so in den Tag reingelebt. Meine Eltern waren Lehrer, Mathe-Physik meine Mutter, Mathe-Chemie mein Vater. Da lag ein Studium nahe. Mein erster Gedanke war, Germanistik zu studieren, weil ich gerne gelesen und mich für Literatur interessiert habe. Aber dann habe ich beschlossen, mein Hobby lieber nicht zum Beruf zu machen und in der elften Klasse stand für mich fest, dass ich Chemie studieren würde. Ich bin halt naturwissenschaftlich vorgeprägt, aber Physik lag mir nicht, Biologie schon gar nicht und ich war ein Vaterkind. Mein Vater hat sehr früh gesagt: Du kannst alles werden – außer Lehrer. Das habe ich mir gemerkt, auch wenn er den Satz später zurückgenommen hat.  

NAT: Warum haben Sie sich für die Uni Rostock entschieden? 

Preetz: Meine Mutter kommt von der Küste, die Liebe zur Ostsee war ausschlaggebend. Der Studiengang war sehr klein und schulisch, aber genau das empfand ich als hilfreich. Es ist gut organisiert, man hat einen festen Stundenplan und wird automatisch mitgerissen: Alle, die mit mir anfingen zu studieren und das zweite Semester überstanden, hatten am Ende auch einen Doktortitel. Der gehört in 95 Prozent aller Fälle zu einem Chemiestudium einfach dazu, weil man erst in der Promotion richtig lernt, zu forschen. Ich persönlich denke, dass man keine Bachelor braucht, sondern für die Umsetzung gut ausgebildete Laboranten, die sich dann noch zum Techniker weiterbilden und für die Forschung promovierte Fachwissenschaftler. Dazwischen braucht man nichts. 

NAT: Man kann auch ohne Studium Karriere machen?     

Preetz: Nur weil man ein Abitur hat, muss man nicht unbedingt studieren. Diese Botschaft möchte ich gern in die Köpfe hineinbekommen. Die Ausbildung zum Chemikanten oder Laboranten ist hochangesehen und die Karrieremöglichkeiten sind immens: Unser Qualitätsmanager oder die Laborleiterin haben beide einmal mit einer Ausbildung angefangen. Mädchen tendieren eher zur Laborantin, Jungs zum Chemikanten. Mir ist es aber eine Herzensangelegenheit, dass wir über die Zeit auch Chemikantinnen bekommen. Das ist eine andere Ausbildung, aber nicht weniger qualifizierend. Und es geht um die großen Fragen, intelligente Anlagensteuerung, Umweltschutz, Energieeinsparung. 

NAT: Wie lautete Ihr berufliches Ziel am Studienstart?  

Preetz: Ich hatte keins, ich habe erst im Laufe des Studiums gesehen, welche Möglichkeiten es gibt – und meine Ziele mehrfach geändert. Im Rahmen meiner Doktorarbeit habe ich drei Monate bei einem Pharmaunternehmen in Barcelona gearbeitet und für mich das Fazit gezogen, Industrie liegt mir nicht. Nach der Promotion bekam ich ein Stipendium für einen wissenschaftlichen Aufenthalt als Post-Doc in Austin, Texas. Der Professor war einmal an meiner Hochschule gewesen und ich fand ihn cool. Warum sitzt der bloß in Texas, habe ich mich damals gefragt. Aber es stellte sich heraus, dass Texas mega war und der Professor das genaue Gegenteil. Mit dem Ergebnis, dass ich eine Hochschulkarriere für mich kategorisch ausgeschlossen habe und sich das Blatt wieder zugunsten der Industrie gewendet hat.  

NAT: Was genau hat Sie abgeschreckt?     

Preetz: Es war eine Top 20 Universität und das ist einfach ein Haifischbecken. Aber ich habe viel gelernt: Wie man es als Chef nicht macht, dafür hatte ich ja das perfekte Vorbild. Der Professor hat mir gezeigt, wie man Leute gegeneinander ausgespielt und dazu bringt, von morgens bis nachts durchzuarbeiten. Richtig sauer wurde ich nach meiner Rückkehr, als die Publikation über meine Arbeit erschien. Da war es nämlich nicht mehr meine Publikation, obwohl ich die Reaktion gefunden hatte, weil der Professor einen Kommilitonen an die erste Stelle gesetzt hatte. Ich war dann nur noch Zweitautor und sollte auch noch dankbar dafür sein. Daraus habe ich gelernt: Es muss menschlich passen, das ist wichtiger als alles andere.

NAT: Wie ging es dann für Sie weiter?      

Preetz: Viel schneller als gedacht, ich hatte mich kaum bei einer Firma in Bergkamen beworben, da kam schon der Anruf. Das Vorstellungsgespräch war richtig schön, an der Wand hingen Fotos von der Ostsee und damit hatten wir sofort den Eisbrecher. Ich habe ganz klassisch in der Forschung angefangen und nach zwei Jahren hat man mir die Leitung des Technikums angeboten. Das ist so ein Zwischending zwischen Labor und Betrieb und statt drei Leuten sollte ich nun 30 führen – eine Chance, die ich nicht so schnell wieder bekommen hätte. Danach gab es viele weitere Umstrukturierungen, die Firma wurde übernommen, aber mir kam zugute, dass ich unheimlich flexibel bin und gut organisiert.  

NAT: Warum ist es noch nicht normal, dass eine Frau 80 Männer führt? 

Preetz: Das weiß ich nicht. Ich kann nur sagen, ich bin da hineingewachsen und in den Kategorien von Frauen- und Männerberufen denke ich einfach nicht. Mein Erfolgsgeheimnis ist es, respektvoll zu führen. Man kann sich in kurzer Zeit ganz viel kaputt machen, indem man zwar eine gute Frage stellt, aber in der falschen Tonart. Ich habe mit Mitarbeitern zu tun, die seit 30 Jahren ihren Job machen. Wer wäre ich denn, ihnen zu erklären, wie sie das zu tun haben! Man sollte nie hochnäsig sein, aber die eigenen Erfahrungen auch nicht kleinreden. Schon als 17jährige Rettungsschwimmerin habe ich Führungserfahrung gesammelt, weil ich die Wachleitung übernommen und 16-Jährige geführt habe. Das ist mein Appell an die Mädchen: Überlegt euch, was ihr gut könnt, schon erreicht habt und sammelt Erfahrungen im Ausland. Das macht euch reifer! 

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